Dr. Christian Dohmen: Herr Dr. Brückner-Bozetti, schön, dass Sie sich die Zeit genommen haben für diesen Austausch. Das Gesundheitswesen durchlebt eine tiefgreifende Transformation und wird in den nächsten Jahren enorme Herausforderungen bewältigen müssen. Hierbei zu nennen ist allen voran der Fachkräftemangel. Gerade die letzten zwei Jahre haben wie in einem Brennglas gezeigt, wie angespannt die Lage ist. Kliniken konnten nur aufgrund von gigantischen Fördersummen die Corona-Krise meistern und Personal- wie Liquiditätsengpässe vermeiden. Doch diese Krise endet jetzt, die nächste steht aber bereits bevor – diese ist jedoch hausgemacht. Viel zu lange wurde weggesehen und nicht wirksam gegengesteuert, weil die Ideen fehlten. Wie sehen Sie dieses Spannungsfeld?
Dr. Peter Brückner-Bozetti: Eines der Kernprobleme beim Krankenhausmanagement ist das Personalmanagement. Das ist nicht neu. Ich habe bereits vor zehn Jahren betont, dass sich dieses Thema in einem embryonalen Zustand befindet. Das Problem vieler Häuser besteht bis heute fort: Es gibt oftmals auf Vorstandsebene keinen verantwortlichen Manager für das Personal. Damit wird es, entgegen öffentlichen Bekundungen, zur Nebensache. Das hat sich von Jahr zu Jahr weiter zugespitzt, weil niemand die Schlüsselstellung von Personal für die Zukunft des Gesundheitswesens ernstgenommen hat.
Dohmen: Hinzu kommen immer komplexere, teils weltfremde Regelvorstellungen. Pflegepersonaluntergrenzen, die Richtlinie zu Mindestpersonalvorgaben in psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen oder eine Vielzahl an Tarifregelungen. Darüber hinaus das von der neuen Bundesregierung im Koalitionsvertrag festgeschriebene Instrument zur Pflegepersonalbedarfsbemessung PPR 2.0, das die Gewerkschaften gemeinsam mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Deutschen Pflegerat entwickelt haben.
Brückner-Bozetti: Solche Entwicklungen sind Fluch und Segen zugleich. Einerseits geht es um eine vernünftige Versorgungsqualität. Und da ist es vollkommen legitim, ein Instrument zu etablieren, um Mindestpersonalbesetzungen sicherzustellen. Andererseits befinden wir uns aber auch in einer Art Kontrollwahn, der schon mit dem DRG-System begonnen hat. Und das ist kontraproduktiv. Die PPP-RL ist mit ihren 90 Seiten beispielsweise so detailliert, dass es sehr wenig Spielraum gibt. Wenn es dann mal zu Schwankungen kommt, stehen Einrichtungen direkt vor der Herausforderung, die Mindestvorgaben zu erfüllen und nachzuweisen.
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Dohmen: Und sind wir mal ehrlich: Wer hatte während der Pandemie überhaupt die Zeit, diese komplexen Ausführungen zu lesen? Immerhin wurde bei der PPR 2.0, also im somatischen Bereich, etwas getan, was bei der PPP-RL verpasst wurde – die Frage nach der technischen Umsetzbarkeit wurde rechtzeitig betrachtet. Es existiert also kein Kontroll- und Nachweiskonstrukt, das am Ende nicht mehr steuerbar ist. Und beim konkreten Beispiel der PPP-RL wurde leider einfach zu wenig aus der Praxis gedacht. Deshalb kann und will das kein Mensch umsetzen.
Brückner-Bozetti: Genau deshalb brauchen Kliniken intelligente Softwarelösungen, um effizientes Personalmanagement betreiben zu können. Notwendig dafür sind eine hohe Datentransparenz und hochwertige Daten. Im besten Fall ist die Lösung genau zugeschnitten auf die spezifischen Bedürfnisse und Fragestellungen, die eine Klinik heute hat. Sie muss den Handlungsspielraum des Managements erhöhen.
Dohmen: Neben der Unterstützung bei der Bewältigung der alltäglichen Komplexität sollte Software auch ein Mittel sein, um strategischen Fragestellungen, wie beispielsweise der des Fachkräftemangels, zu begegnen. Abseits der gesundheitspolitischen Diskussionen und ausgehend von den patientenbezogenen Leistungen. So lässt sich ein langfristiges Personalmanagement aufbauen, das Einrichtungen Sicherheit über ihren Bedarf an Ärzten, Pflegern, Therapeuten usw. gibt.
Brückner-Bozetti: Ein strategisches Personalmanagement ist die eine Sache. Es ist aber auch wichtig, aus dem betriebswirtschaftlichen Handwerksdenken herauszukommen. Denn auch wenn ich weiß, wie viel Personal ich benötige, ist der Markt leer. Der Arbeitsmarkt im Gesundheitswesen ist ein Verdrängungswettbewerb. Die Kliniken nehmen sich gegenseitig die Fachkräfte weg. Warum nicht also beispielsweise eine Plattform etablieren, die regionale Arbeitsmärkte schafft, und gemeinsam strategisch arbeiten und rekrutieren? In anderen Branchen gibt es so etwas schon länger, solche Chancen sollte man nutzen.
Dohmen: Das heißt, wir haben die unternehmerische Ebene, und wir haben eine politische Dimension, bei der es darum geht, die Branche attraktiv zu machen?
Brückner-Bozetti: Richtig. Und beides muss ineinandergreifen. Nur mit einer Kombination aus unternehmerischem Handeln und den passenden gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen wird man das Problem mittelfristig lösen.