Christian, im Juni findet der jährliche Healthcare Hackathon der Universitätsmedizin Mainz statt. ATOSS ist zum zweiten Mal dabei. Weshalb?
Wenn es um die Digitalisierung oder digitale Transformation des Gesundheitswesens geht, gehört der Healthcare Hackathon in Mainz mittlerweile zu den spannendsten Leuchtturmveranstaltungen des deutschen Gesundheitswesens. International bekannte Unternehmen der IT-Branche engagieren sich hier mit ihren Ideen als Treiber dieses Wandels. Auch wir von ATOSS bringen uns mit visionären Lösungen für die Healthcare Zukunft ein.
Worauf kann man sich an den drei Tagen besonders freuen?
Das Besondere sind die innovativen Ideen, die beim Healthcare Hackathon aus der Praxis für die Praxis entstehen. Einzigartig an der Veranstaltung ist aus meiner Sicht, dass es gelingt, Universitätskliniken und Technologieunternehmen zu einer partnerschaftlichen Ko-Kreation an einem Ort zusammenzubringen.
Welche Themen stehen denn dieses Jahr beim Hackathon im Fokus?
Wir setzen unsere Challenge aus dem letzten Jahr unter dem Motto Smart.New.Work konsequent fort. Unser Ziel war und ist es, Belastungssituationen auf den Stationen proaktiv zu vermeiden und eine innovative und zukunftsfähige Arbeitszeitgestaltung für die Mitarbeitenden in der Pflege zu ermöglichen. Dr. Boris Baginski, Senior Director Research bei ATOSS, wird mit seinem Team und dem Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme IKS in Mainz unseren Ansatz vorstellen, wie Künstliche Intelligenz im Rahmen der Personalbedarfsplanung dazu beiträgt. Besucher des Healthcare Hackathons können gerne an der Weiterentwicklung unserer Idee mitwirken. Das gilt übrigens auch für die Themen der anderen Challenges – von ökologischer Nachhaltigkeit in der medizinischen Versorgung bis hin zu technologischen Sprüngen in der Patientenkommunikation. Den gedanklichen Möglichkeiten werden hier keine Grenzen gesetzt.
Wie sehr sind andere Kliniken an den Ergebnissen aus Mainz interessiert? Gibt es ein deutschlandweites Echo?
Inzwischen gibt es drei weitere Healthcare Hackathons. Bei diesen regionalen Ablegern in Mecklenburg-Vorpommern, Oldenburg und Darmstadt gilt das gleiche Prinzip. Und auf diese Weise werden gute Ideen auch schnell in die Fläche getragen.
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Wer kann sich am Hackathon beteiligen?
Alle Kliniken, die sich mit eigenen Projektmitteln, innovativen Ideen oder starken Partnern aus der Industrie einbringen möchten, können mit dabei sein. Solche Kapazitäten und Möglichkeiten hat natürlich nicht jede Klinik, aber jede kann und muss sich auf den Weg der digitalen Transformation begeben und dabei oftmals noch mehr Fahrt aufnehmen, als dies trotz KHZG bisher geschieht. Hier muss mehr getan werden und auch mehr bei den Patientinnen und Patienten ankommen.
Werden damit kleinere Häuser von Innovationen ausgeschlossen?
Überhaupt nicht. Beim Healthcare Hackathon ist es eher so, dass Vorreiter Ideen im Sinne aller entwickeln. Auf diese kreativen Lösungen springen dann viele Kliniken auf, weil diese auch für sie interessant sind. Bei unserer diesjährigen Challenge, in der sich alles um die PPR 2.0 und die Künstliche Intelligenz dreht, erwarten wir dies ganz besonders.
Du hast andere Unternehmen erwähnt, die bei unserer Challenge mitmachen. Wie kam es dazu?
Im März 2022 ist die Universitätsmedizin Mainz, unser langjähriger Kunde, auf uns zugekommen. Sie wollte auf Basis der ATOSS Medical Solution eine digitale Lösung für die PPR 2.0 haben. Daher haben wir zusammen mit Ver.di eine Challenge gestartet. Das lief so gut, dass auch andere Universitätskliniken darauf aufmerksam wurden und dann gleich selbst beim Hackathon Workshop mitgearbeitet haben – so das Universitätsklinikum Frankfurt. Schnell war klar, dass wir gemeinsam beim Hackathon 2023 in die zweite Runde gehen. Dr. Christian Elsner, der Kaufmännische Vorstand der Universitätsmedizin Mainz, hat dann noch zwei weitere Partner ins Spiel gebracht: Fraunhofer IKS und Flying Health. Das ist wie ein Lauffeuer. So funktioniert das.
Wie kam denn diese Kooperation zustande?
Wir haben uns alle im Februar in Berlin kennengelernt. In einer ganz entspannten Atmosphäre bei einem gemeinsamen Abendessen im Rahmen eines Workshops. Und daraus sind jetzt tolle neue Ideen entstanden. Total dynamisch – das macht ganz einfach Spaß!
Es hat sich einfach gefügt und gepasst?
Ja, denn genau so bringt jeder Partner seinen Beitrag in die Challenge ein. In der Systemtheorie sagt man dazu Emergenz: Indem jeder Akteur seine spezifische Kompetenz einbringt, entsteht etwas Gemeinsames, das sonst so nicht entstehen könnte. Das Ergebnis ist dabei mehr als die Summe seiner Teile. Und das Ergebnis ist ziemlich cool.
Wird es in Zukunft weitere Partnerschaften und Einsatzszenarien geben?
Das will ich doch schwer hoffen! Für uns als stark wachsendes Softwareunternehmen bedeuten diese Entwicklungen auch eine Chance, in neue Richtungen zu denken und unsere Lösungen weiter zu verbessern. Hätte die Universitätsmedizin Mainz nicht an anderer Stelle bereits mit Fraunhofer IKS zusammengearbeitet, wäre die aktuelle Challenge zu SMART.NEW.WORK sicher nicht so schnell entstanden. So gewinnen alle.
Im Augenblick gibt es großen Optimierungsbedarf im Gesundheitswesen. Der Arbeitskräftemangel ist dabei sicher eine der drängendsten Herausforderungen. Wo muss man deiner Meinung nach ansetzen?
Die Antwort auf diese Frage ist komplex und mehrdimensional. Wie kommen wir da weiter? Denn die Digitalisierung allein bietet natürlich keine hinreichende Lösung bei der Fachkräfte- und Versorgungssicherung. Dafür muss noch viel mehr getan werden. Schließlich lassen sich die Versorgungsprozesse nicht völlig digitalisieren und optimieren. Trotzdem setzen wir genau hier an. Denn das ist unser Purpose, unsere Mission – Personaleinsatz zu optimieren und damit Arbeitswelten zu revolutionieren. Das ist ATOSS. Und daher ist es besonders spannend und motivierend, dass wir zwei große Themenkomplexe der Zeit, Fachkräftesicherung sowie Digitalisierung und Künstliche Intelligenz, beim Healthcare Hackathon in einer Challenge zusammenbringen.
Jetzt und in Zukunft die Situation der Pflegekräfte im Krankenhaus zu verbessern, ist also eines der großen Ziele von SMART.NEW.WORK?
Richtig! Wir wollen KI-gestützt neue Arbeitsformen ermöglichen und die Belastung der Mitarbeitenden auf den Stationen reduzieren. Das ist unser Anspruch und unsere Motivation.
Dr. Christian Dohmen-GriesenbachWir wollen KI-gestützt neue Arbeitsformen ermöglichen und die Belastung der Mitarbeitenden auf den Stationen reduzieren. Das ist unser Anspruch und unsere Motivation.
Spätestens seit ChatGPT ist KI in aller Munde. Was heißt das deiner Ansicht nach für das Gesundheitswesen?
Wir stehen sicher noch am Anfang. Wir werden jedoch schon sehr bald einen enorm wachsenden Bedarf an medizinischer Versorgung erleben, allein schon aufgrund der demografischen Entwicklung. Durch Zuwanderung werden wir ein sehr heterogenes Angebot an medizinischen Leistungen benötigen – das fängt schon bei der Sprache an. All das erfordert intelligente Tools, die mitdenken und das Klinikmanagement erleichtern, die menschliche Entscheidung dabei jedoch nie ersetzen.
Wie viele Kliniken in Deutschland haben beim Thema Digitalisierung Nachholbedarf? Gibt es immer noch Kliniken, die ihre Planung über Excel machen oder auf Papier? Wie ist da der Status Quo?
Ich würde die Frage eher andersherum beantworten: Wie viele haben keinen Nachholbedarf? (lacht) Die Anzahl der Kliniken, die wirklich gut aufgestellt sind, ist aus meiner Sicht sehr gering. Nur wenige haben beispielsweise bislang eine voll digitale Schnittstelle zwischen dem Krankenhausinformationssystem und dem Personaleinsatzplanungsprogramm implementiert. Von den 2.000 Kliniken in Deutschland sind etwa fünf Prozent bei der digitalen Transformation schon richtig weit. Die anderen haben sich vielleicht auf den Weg gemacht, haben aber noch viel zu tun. Auch deshalb gibt es jetzt so viele KHZG-Projekte. Bei unserem Thema Workforce Management würde ich sagen: Mehr als 90 Prozent der Kliniken haben noch einen großen Nachhol- oder Optimierungsbedarf bei der digitalen Personaleinsatzplanung.
Wie kann es sein, dass so viele deutsche Kliniken digitales Workforce Management noch nicht auf der Agenda haben?
Viele haben es schon auf der Agenda, müssen aber noch effektiver und effizienter werden. Zahlreiche ATOSS Kunden haben bereits sehr gute Lösungen realisiert, von diesen Lösungen können andere lernen. Ich glaube aber auch: Der Druck im Kessel muss sich noch weiter verstärken. Erst dann werden wir einen echten Wandel im Gesundheitswesen erleben. Dieser Zeitpunkt rückt näher.
Können es sich die Kliniken denn überhaupt noch leisten zu warten?
Ich meine nein. Nach der Pandemie hat der Personalmangel dazu geführt, dass viele Kliniken ihre Leistungen nicht mehr erbringen können. Auch deshalb sind sie in die roten Zahlen gekommen. Und genau aus diesem Grund benötigen sie jetzt intelligente Systeme, die ihnen dabei helfen, ihre vorhandenen Kapazitäten besser zu nutzen. Natürlich ist es schwierig zu investieren, wenn man rote Zahlen schreibt. Aber um wieder in die schwarzen Zahlen zu kommen, müssen Kliniken jetzt in Lösungen investieren, die es ihnen langfristig ermöglichen, Personal und Versorgung optimiert zu planen.
Weißt du schon, was für ATOSS beim Hackathon 2024 auf dem Programm stehen wird? Oder was würdest du dir als Themen für 2024 wünschen?
Ich sehe drei mögliche Themen, die uns dann beschäftigen werden: der Dauerbrenner Mitarbeiterorientierung, die Steuerung der Komplexität von immer größeren Einrichtungen und die zunehmend wichtige Interoperabilität. Das zweite und dritte Thema gehören zusammen, denn wir benötigen Systeme, die das Management besser dabei unterstützen, komplexe Entscheidungen zu treffen. Voraussetzung ist, dass die unterschiedlichen IT-Systeme einer Klinik miteinander „sprechen“ lernen.
… was uns wieder zurück zur Künstlichen Intelligenz bringt?
So ist es. Ich denke nicht, dass sich Pflegepersonal durch Künstliche Intelligenz ersetzen lässt. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass sämtliche administrative Prozesse einer Klinik grundlegend auf den Prüfstand gestellt werden, weil Künstliche Intelligenz für eine viel höhere Effizienz sorgen wird. Und das wiederum kommt den Patientinnen und Patienten sowie der Belegschaft zu Gute.