Beim Hackathon 2022 wurden die PPR 2.0 und der TV-Entlastung digital umgesetzt, mit ver.di als einem der Haupttreiber. Was war aus Ihrer Sicht der Erfolg dieser Challenge?
Frank Hutmacher: Im Team mit betroffenen Beschäftigten, Fachleuten der PPR 2.0 und mit Unterstützung von internen und externen IT-Fachleuten konnte eine praxisnahe Lösung erarbeitet werden. Danach wurde diese in verschieden Bereichen erst theoretisch und dann praktisch erprobt. Wir können nun digital tagesgenau abbilden, welche Besetzung notwendig ist, um die PPR 2.0 einzuhalten. Bei uns erfolgt jetzt ein digitaler Soll-Ist-Vergleich. Somit sind wir in der Lage, Belastungen digital festzustellen und mit unserem Entlastungstarifvertrag für spürbare Entlastung bei den Beschäftigten zu sorgen.
Sebastian Tensing: Pflegepersonalbemessung ist unter der Prämisse des Kostendrucks im Gesundheitswesen ein ständiges Rechtfertigungsthema – selbst in Zeiten des Pflegebudgets, das vorsieht, jede zusätzliche Pflegestelle, die neu geschaffen wird, auch tatsächlich zu vergüten. Zugleich verschärft der (relative) Fachpersonenmangel den Wettbewerb um die besten Köpfe zwischen den Institutionen und Sektoren. Vorliegende Evidenz zeigt uns vielfach an, dass eine verbindliche und rationale Personaleinsatzplanung für viele beruflich Pflegende ein äußerst wichtiges Kriterium der Entscheidung für oder gegen eine Arbeitsstätte ist. Unser primärer Treiber in dieser Challenge war ganz klar, komplexe Prozesse mittels digitaler Tools so abzubilden, dass für die Anwenderinnen und Anwender ein Mehrwert entsteht. Die Erstellung von guten Dienstplänen gelingt nun deutlich schneller und kostet nicht wertvolle Zeit, die uns an anderer Stelle fehlt. Zudem bewegen uns Transparenz- und partizipative Gesichtspunkte, denn Beschäftigte im 21. Jahrhundert möchten informiert sein und mitbestimmen. Daher bringen wir zur Erarbeitung von Lösungen Expertinnen und Experten mit unterschiedlichen Kompetenzen zusammen.
Frank HutmacherWir können nun digital tagesgenau abbilden, welche Besetzung notwendig ist, um die PPR 2.0 einzuhalten.
Bei der diesjährigen Challenge wird die 2022 entwickelte Lösung um eine KI-Komponente erweitert. Wie blicken Sie auf dieses aktuell hochbrisante Thema Künstliche Intelligenz – gerade hinsichtlich des Aspekts, dass dabei auch sensible Personaldaten verwendet werden?
Frank Hutmacher: Der Datenschutz ist ein hohes Gut. Auch wenn KI-Komponenten hinzukommen sollten, so sind die Daten von Personal und Patientinnen und Patienten immer nach strengen Vorgaben zu verarbeiten. Wir werden deshalb zuerst mit anonymisierten Daten arbeiten, um Möglichkeiten der KI zu simulieren. Dies ist das Erfolgsrezept vom Mainzer Healthcare Hackathon. Wir beginnen ohne Grenzen und Hürden. Die Prüfung der möglichen Umsetzung folgt danach – im zweiten Schritt.
Sebastian Tensing: Der Einsatz von KI, deren Kraftstoff ja sensible Daten sind, bringt sicherlich noch einmal eine neue Qualität in den Diskurs um Datensicherheit und Datenschutz. Als Universitätsmedizin Mainz sind wir allerdings aufgrund der vielen für uns einschlägigen Normen wie DSGVO, KRITIS oder IT-SiG ohnehin bereits gut vertraut mit dem Handling solch komplexer Anforderungen. Dank der Exzellenz unserer Technologiepartner widersprechen sich ein verantwortungsvoller und sicherer Umgang mit sensiblen Daten einerseits und das Beschreiten neuer Wege der Personaleinsatzplanung andererseits keineswegs. Es ist für uns elementar, dass am Ende immer eine lebensnahe und pragmatische Lösung für alle Stakeholder gefunden wird.
Sebastian TensingEs ist für uns elementar, dass am Ende immer eine lebensnahe und pragmatische Lösung für alle Stakeholder gefunden wird.
Kann die Erweiterung der Lösung um KI die Themen Arbeitszeit in der Pflege, Entlastung und Belastungssteuerung nachhaltig verbessern? Gibt es aus Ihrer Sicht dabei auch Risiken?
Frank Hutmacher: Das wird sich erst noch zeigen müssen…
Sebastian Tensing (lacht): Ich bin hinsichtlich des Wandels ein grundsätzlich positiv eingestellter Mensch. Daher würde ich an dieser Stelle weniger von Risiken, sondern einer Vielzahl zu bewältigender Herausforderungen sprechen. Ob mit oder ohne KI-Einsatz – leider wird die Hoheit über die Personaleinsatzplanung vielfach noch als Machtinstrument fehlverstanden. Die daraus resultierenden Konsequenzen sind fatal. Hier muss sich also noch eine deutliche Kulturänderung in der Haltung von Führungspersonen vollziehen. Ich persönlich setze darauf, dass digitale Tools dabei in die richtige Richtung supporten. Aber fragen Sie uns nach dem Healthcare Hackathon noch einmal.
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Wenn wir schon über Tarife sprechen: Gerade wurde in Mainz eine Tarifeinigung erzielt. Was waren die Forderungen und Ziele in der Tarifrunde 2023? Was davon wurde erreicht?
Frank Hutmacher: Wir haben ein Verhandlungsergebnis erzielt, über das die ver.di-Mitglieder bis Ende Juni abstimmen werden. Wenn es von den Mitgliedern angenommen wird, dann erhalten die Beschäftigten in diesem Jahr noch eine Inflationsausgleichprämie von 3.000 Euro. Auszubildende erhalten 1.600 Euro. Am 1. 1. 2024 steigen die Entgelte um 200 Euro und weitere 2 Prozent. In der zweiten Jahreshälfte 2024 kommen dann noch einmal 4 Prozent hinzu. Das sind insgesamt Steigerungen zwischen 9 und 15 Prozent in 2024. Die Stellung der Beschäftigten der Pflege in der unmittelbaren Patientenversorgung konnten wir zusätzlich aufwerten. Das war uns besonders wichtig. Neu eingeführt haben wir einen sogenannten Zukunftsbetrag. Das bedeutet: Jedem Vollzeitbeschäftigten stehen ab Januar 2024 monatlich 50 Euro (Brutto gleich Netto) für individuelle Bedürfnisse zur Verfügung. Dieser Betrag kann für Leistungen aus den Kategorien Nachhaltigkeit, Mobilität und Prävention verwendet werden. Dies halten wir für sehr innovativ.
Sind aus Ihrer Sicht Veranstaltungen wie der Healthcare Hackathon in Mainz, bei dem interdisziplinäre Teams aus Wirtschaft, Wissenschaft und Praxis gemeinsam an zukunftsfähigen Lösungen für das Gesundheitswesen arbeiten, unerlässlich, um die Herausforderungen der Zukunft meistern zu können?
Frank Hutmacher: Ja, das auf jeden Fall! Aus dem Umfeld des Healthcare Hackathon Mainz sind schon viele Ideen in die Praxis umgesetzt worden. Dass hier Teams aus Wirtschaft, Wissenschaft und Praxis zusammenkommen und dann aus ihrer jeweiligen Perspektive auf andere Teams stoßen, oft auch mit gegensätzlichen Interessen, um gemeinsame tragfähige Lösungen zu finden, zeigt uns, wie wichtig und erfolgreich dieses Format ist.
Sebastian Tensing: Der Hackathon ist meiner Meinung nach ein unverzichtbarer Think Tank, welcher in hoher Frequenz direkten und indirekten Output für alle schafft. Er verkörpert damit wie kein zweites Format die Kernbotschaft der Universitätsmedizin Mainz: UNSER Wissen für Ihre Gesundheit. Deshalb freuen wir uns von Jahr zu Jahr auf diese Veranstaltung und gestalten gerne mit.
Vielen Dank Ihnen beiden für das Gespräch.