Herr Dr. Elsner, die Uniklinik Mainz gilt als digitaler Vorreiter in der deutschen Klinik-Landschaft. Wie wichtig sind digitale Innovationen in der aktuell fundamentalen Transformation des Gesundheitswesens?
Dr. Christian Elsner: Vielen Dank für die Blumen, aber ich sehe uns nicht wirklich als digitalen Vorreiter. Ja, zugegeben, wir haben in einigen Bereichen schon Vorzeigbares – darunter ein paar Leuchtturmprojekte – erreicht, aber ich würde uns deshalb nicht auf ein solches Podest stellen. Auch wir haben noch genügend Stellschrauben, an denen wir drehen können. Dennoch sind wir durch unsere Arbeitsweise und vor allem auch durch unsere begeisterten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gut dabei. Digitale Tools sind das eine, doch die Mitarbeitenden im Hintergrund und auch die Partner sind das Entscheidende. Agile Methoden zu verwenden und auch mal neue Wege gehen und dabei eventuell auch zu scheitern, ist wichtig, um Innovation voranzutreiben. Es braucht diese Spielwiese, um Neues zu erforschen und auszuprobieren. Oder ganz einfach auch, um sich einzugestehen, dass eventuell mal etwas nicht funktioniert oder sich nicht so realisieren lässt, wie man sich das vorstellt. Das ist ein natürlicher Prozess und gehört ebenfalls dazu.
Spielwiese ist ein gutes Stichwort, denn genau dafür ist der Healthcare Hackathon ein perfektes Beispiel – auch für Ihre Vorreiterrolle. Was ist die Intention der Veranstaltung?
Elsner: Der Hackathon greift den Gedanken der Co-Creation auf. Einmal intern, viele unserer begeisterten Mitarbeitenden sind dabei, aber auch in Zusammenarbeit mit anderen Uniklinika, ver.di und starken Partnern aus der Region und ganz Deutschland. Wir haben beispielsweise auch in diesem Jahr wieder das Bundesgesundheitsministerium als Kooperations-Partner dabei. Das zeigt den Stellenwert dieser Veranstaltung, auf der gemeinsam an Innovationen gearbeitet werden wird, um das Gesundheitswesen von morgen zu gestalten. Beim Hackathon entwickelt sich ein ganz besonderer Spirit. Die Zusammenarbeit, die Co-Creation, die dort stattfindet – da entsteht schon eine kleine Bewegung. Und das macht ganz einfach auch Spaß.
Ist der Erfolg der digitalen Transformation im Gesundheitswesen von genau solchen Arbeitsweisen abhängig?
Elsner: Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Gerade, weil es folgendes zu beachten gilt: Digitale Transformation betrifft nicht nur IT und Software. Die Einführung von Tools hat im Hintergrund immer mit Abläufen und mit Veränderung zu tun. Es ist erfolgskritisch, die Veränderungen in der Organisation mitzugestalten. Erst dann werden Verbesserungen auch sichtbar und wirksam. Rund 70 Prozent eines Projektes sind Change Management und Prozessoptimierung. Die digitale Transformation geht also Hand in Hand mit der Organisationstransformation von Unternehmen. Eine Software allein ist kein Heilmittel. Da ist es hilfreich, wenn viele Experten bei einem Event wie dem Hackathon zusammenkommen, um den Wandel mitzugestalten.
Ein Fokus sind die Hacks. Was genau kann man sich darunter vorstellen?
Elsner: Hier kommt wieder der Gedanke der Spielwiese zum Tragen. Bei den Hacks, die an zwei aufeinanderfolgenden Tagen stattfinden, geht es darum, zusammenzuarbeiten, Neues zu entwickeln. Ums Lernen und Ausprobieren – mit dem Ziel eines MVP, also Minimum Viable Product. Es ist die Einladung, Herausforderungen einzubringen und gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. Das kann auch Themen betreffen, die über mehrere Jahre immer wieder weiterentwickelt werden und die auch schon in der Praxis Erfolg gefeiert haben. Ein Leuchtturm-Projekt, das mir spontan in den Sinn kommt, ist der UMessenger. Das ist eine Initiative, die bei einem der letzten Hackathons ins Leben gerufen wurde, um einen integrierten und DSGVO-konformen Messenger umzusetzen. Den wollen wir auch in diesem Jahr weiterentwickeln. Ein weiterer Leuchtturm ist das Projekt, das wir mit ATOSS gestartet und umgesetzt haben.
Was wurde genau entwickelt?
Elsner: Wir hatten vor einiger Zeit in Zusammenarbeit mit ver.di die Aufgabe gestellt, den Arbeitsplatz der Zukunft in der Pflege zu definieren und zu entwickeln. Also eine tarifliche Ausgestaltung dessen, was nötig ist, um eine flexible, aber auch gerechte Pflege zu gewährleisten. Dazu zählt u.a. der Entlastungstarifvertrag, den wir umgesetzt haben. Pflegerinnen und Pfleger bekommen zusätzlichen Urlaub, wenn sie in unterbesetzten Schichten arbeiten. In der Co-Creation mit ATOSS haben wir die technische Umsetzbarkeit entwickelt – im Rahmen des Hackathons und natürlich darüber hinaus. Jetzt kommen weitere Herausforderungen dazu, u.a. die Verknüpfung unseres Tarifvertrages mit der Personalbemessung PPR 2.0. Dies soll in einer App abgebildet werden, um die Transparenz für alle Pflegenden zu erhöhen und ihnen ein modernes Tool für das Management ihrer Arbeitszeiten an die Hand zu geben. So wie sie das aus ihrem privaten Umfeld heute gewohnt sind.
Es sind solche technologischen Pionierleistungen, die dabei helfen, für Mitarbeitende attraktivere Arbeitsplätze zu schaffen. Ihr Haus hat während der Pandemie Pflegerinnen und Pfleger eingestellt, während viele andere Klinken Abgänge zu verzeichnen hatten. Woran liegt das?
Elsner: Das muss man in erster Linie einmal relativieren. Denn als Supramaximalversorger hatten wir in der Pandemie natürlich ein unverhältnismäßig hohes Aufkommen an Patienten und somit einen erhöhten Bedarf an Pflegepersonal. Andererseits haben wir aber auch einen attraktiven Tarifvertrag, den Entlastungstarif und entsprechende Tools, um all das für unsere Mitarbeitenden fair und transparent abzubilden. Digitale Tools sind das Umsetzungsinstrument für organisatorische Veränderungen und Verbesserungen. Und sie werden auch eingefordert von der heutigen Generation der Arbeitnehmer. Das ist gerade im War for Talents ein entscheidender Punkt.
Was für einen Stellenwert hat die Integration des Workforce Managements oder der Personaleinsatzplanung in bestehende IT-Landschaften. Oder allgemeiner gefragt: Wie wichtig ist Interoperabilität?
Elsner: Gerade die Pandemie hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, dass Prozesse und auch Systeme ineinandergreifen. Wir hatten beispielsweise viele Patienten zur Behandlung, die künstlich beatmet werden mussten. Um dies effizient zu gewährleisten, braucht es eine hohe Transparenz über die Qualifikationen der Mitarbeitenden, die für diese Art der Behandlung ausgebildet sind. Also eine gute Zusammenarbeit zwischen KIS- und Personalmanagementsystem. Das ist nur ein Aspekt, der das veranschaulichen soll. Darüber hinaus profitieren wir beispielweise beim Thema Dokumentation und Nachweispflichten enorm von einer nahtlos verbundenen IT-Landschaft, in der alle relevanten Daten jederzeit in Echtzeit zur Verfügung stehen. Die Interoperabilität von Systemen ist also ein entscheidender Faktor und auch zwingende Voraussetzung für Transparenz und Effizienz.
Welche Effekte haben Sie erzielt?
Elsner: Durch die Integration der Personaleinsatzplanung in unsere Systemlandschaft haben wir beispielsweise administrative Aufwände rund um die Arbeitszeit gesenkt, aber auch positive budgetäre Effekte generiert. Durch detaillierte Auswertungen, klare Abrechnungen oder auch durch die Vermeidung von Strafzahlungen. Darüber hinaus hat die höhere Transparenz in der Planung die Zufriedenheit unserer Mitarbeitenden merklich gesteigert.
Herr Dr. Elsner, vielen Dank für das Gespräch.