Herr Obereder – ATOSS kann auf 29 Jahre Wachstum zurückblicken. Ihre Lösungen sind in über 40 Ländern bei internationalen Großkonzernen, aber auch bei größeren und kleineren Mittelständlern, im Dienstleistungssektor und in der Industrie im Einsatz. Ist das Thema ausgereizt?
Keinesfalls. Wir stehen erst am Anfang. Die Bedeutung von Workforce Management wird in den kommenden Jahren weiter massiv zunehmen, und zwar nicht nur zur Kostenreduktion, sondern vor allem als ein strategischer Wettbewerbsfaktor.
Das sind große Worte. Womit untermauern Sie das?
Kleine wie große Unternehmen spüren den demographischen Wandel. Es mangelt an qualifizierten Mitarbeitern und Fachkräften. Ernst & Young rechnen vor, dass in Deutschland im Jahr 2016 alleine im Mittelstand 360.000 Stellen nicht besetzt werden konnten. In den USA blieben letztes Jahr ganze fünf Millionen Stellen unbesetzt. Im Januar 2017 gab es in Deutschland mehr offene Stellen als je zuvor – bei historisch niedriger Arbeitslosigkeit. Genau hier setzt Workforce Management an.
Wie genau?
Es ist offensichtlich, dass effiziente Lösungen und Algorithmen helfen, Personal besser und bedarfsgerechter zu planen und zu steuern. Sie tragen also dazu bei, den Mangel an Fachkräften für Unternehmen besser beherrschbar zu machen und die wertvolle Ressource Mensch im Arbeitsprozess flexibler und intelligenter entlang der Wertschöpfungskette einzusetzen. Es geht aber noch weiter. Workforce Management kann neben dem optimalen und kostenbewussten Einsatz der vorhandenen Mitarbeiter auch ein entscheidender Wettbewerbsfaktor bei der Personalbeschaffung sein.
Besonders bei Unternehmen in personalintensiven Branchen sind dringend intelligente Lösungen gefordert, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Andreas F.J. Obereder | CEO und Gründer, ATOSS
Bei der Personalbeschaffung?
Die Menschen wollen heute flexibler und selbstbestimmter über ihren Arbeitseinsatz entscheiden, genauso, wie sie ihre Bankgeschäfte oder Einkäufe von zu Hause erledigen. Sie möchten Mitsprache, Transparenz und eine ausgeglichene Work-LifeBalance. Sechs von zehn Millennials erwarten flexiblere Arbeitspläne und einen hohen Grad an Selbstbestimmung. Mit Workforce Management Lösungen können Unternehmen ihren Mitarbeitern genau das bieten.
Können Sie Beispiele für mehr Mitarbeiterintegration nennen?
Für unseren Kunden Lufthansa haben wir unter dem Motto »Demokratisierung von Arbeitsprozessen« Systeme eingerichtet, die es den Mitarbeitern erlauben, ihre Wünsche in die monatliche Arbeitszeitplanung einfließen zu lassen. Diese werden von unserer Lösung bestmöglich bei der Planung berücksichtigt. Sie können sich vorstellen, wie komplex das bei einem Global Player mit Zehntausenden von Mitarbeitern, starken Gewerkschaften und vielfältigen gesetzlichen und tariflichen Rahmenbedingungen ist.
Und was passiert, wenn Mitarbeiterwünsche nicht berücksichtigt werden können?
Steht die Personalplanung für den Monat, können die Lufthansa Mitarbeiter über die ATOSS Tauschbörse Arbeitszeiten tauschen, auch – und das ist heute wichtig – über ihr Smartphone. Das System prüft automatisch, ob alle gesetzlichen, vertraglichen und betrieblichen Rahmenbedingungen für einen Tausch erfüllt sind. Das Feedback der Mitarbeiter ist überaus positiv, was wiederum die Attraktivität der Lufthansa als Arbeitgeber steigert.
Wie steht es um das Thema Cloud bei ATOSS?
Schon seit mehreren Jahren sind unsere Lösungen auch in der Cloud verfügbar. Anfangs war das noch ein Randthema. Aber inzwischen steigt die Nachfrage in allen Segmenten und die Zuwachsraten sind enorm. Im letzten Jahr alleine hatten wir eine Umsatzsteigerung von über 100 Prozent. Das Thema Cloud hat bei ATOSS einen hohen Stellenwert, auch wenn wir unseren Kunden nach wie vor die Option geben, ihr System On-Premise zu betreiben.
Helfen ATOSS Lösungen auch kleineren Unternehmen?
Absolut! Workforce Management ist ein Thema für jedes Unternehmen am Markt. Wir haben Anfang des Jahrzehnts die Weichen dafür gestellt, dass wir heute mit unterschiedlichen Lösungen Unternehmen von 2 bis 200.000 Mitarbeitern bedienen können. Von der Smartphone-basierten Zeiterfassungs-App für kleine Unternehmen, die diese kostenlos ausprobieren und eigenständig einrichten können, über Komplettlösungen für Mittelständler bis hin zur hochkomplexen, bedarfsorientierten Personaleinsatzplanungs-Software für den global agierenden Konzern. Alleine im Bereich von 50 bis 1.000 Mitarbeitern, also dem klassischen Mittelstand, steuern heute etwa 3.500 Kunden – wie HEINE Optotechnik, Niederegger in Lübeck oder die Parfümerie Akzente – ihr Personal mit ATOSS Lösungen.
Vor welchen Herausforderungen stehen die Unternehmen heute noch beim Workforce Management?
In der Vergangenheit haben Unternehmen massiv rationalisiert und gespart. Das hat zur Folge, dass die Personaldecke heutzutage meist sehr dünn ist. Es ist schlichtweg kein Personalpuffer mehr vorhanden, um die Folgen des Fachkräftemangels zu kompensieren. Und das Problem verschärft sich in einer konjunkturellen Hochphase natürlich noch. Zwei plakative Beispiele dazu: Anfang Oktober 2016 schloss die Postbank wegen Personalmangels stunden- und tageweise Filialen, die Privatbahn Metronom stellte mehrere Zugfahrten ein. Solche Pannen haben direkte Auswirkungen auf Kundenzufriedenheit, Umsatz und Gewinn. Passiert so etwas häufiger, ist das Unternehmen nachhaltig beschädigt. Besonders bei Unternehmen in personalintensiven Branchen sind dringend intelligente Lösungen gefordert, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Und Workforce Management ist hier die Antwort?
Wir steuern zumindest einen wichtigen Teil zur Lösung dieses Problems bei. Unsere Algorithmen können zum Beispiel im Einzelhandel Besucherströme und Umsatzentwicklungen auf Basis von Vergangenheitsdaten sehr genau prognostizieren. Mit diesen Daten lässt sich der Personalbedarf sowohl für einzelne Filialen als auch für bestimmte Zeiträume sehr gut berechnen und das Personal punktgenau disponieren. In Österreichs exklusivem Warenhaus Kastner & Öhler ermöglicht unsere Lösung beispielsweise, die Kundenansprüche bezüglich hoher Beratungsqualität sowie niedrigen Wartezeiten an der Kasse zu erfüllen und dabei gleichzeitig die Personalkosten zu senken.
Handel und Dienstleistung sind personalintensive Branchen. Gelingt ATOSS das auch bei Unternehmen des produzierenden Gewerbes?
Absolut. Das zentrale Wachstumsthema in der Produktion heißt Industrie 4.0. Hierbei geht es darum, Produktions- und Logistikprozesse intensiv zu vernetzen und damit hochflexibel zu machen. Ziel ist eine Fertigung, die sich den Anforderungen des Marktes wie kürzere Lieferzeiten oder individualisierter Fertigung bis hin zur Losgröße 1 dynamisch anpasst. Das funktioniert nur, wenn eine äußerst agile Personalinfrastruktur zugrunde liegt. Diese intelligent zu steuern, ist heute eine strategische Herausforderung und essentieller Bestandteil eines modernen Workforce Managements. RITTER SPORT konnten wir zum Beispiel helfen, den Personaleinsatz optimal an die saisonalen Bedarfsschwankungen des Geschäfts anzupassen. Das führte zu einer drastischen Reduktion des Zeitaufwands um mehr als 10.000 Stunden pro Jahr und einer nachhaltigen Erhöhung der Produktivität der flexibel arbeitenden Mitarbeiter um 4 Prozent.
Wie wirkt sich das auf die Gewinne Ihrer Kunden aus?
Lassen Sie mich ein einfaches Rechenbeispiel bringen. Gehen wir von einem Umsatz von 100 aus mit Personalkosten von 50 und einem Gewinn von 10. Wenn es uns gelingt, die Personalkosten um 3 Prozent zu reduzieren, steigt der Gewinn um 15 Prozent. Kann ich auch noch den Umsatz durch Verbesserung des Service Levels – bei gleichbleibenden Personalkosten – um 3 Prozent steigern, steigt der Gewinn um 37,5 Prozent. Workforce Management bedient also einen doppelten Hebel. Normalerweise ist bei unseren Projekten der Return on Investment innerhalb von 12 Monaten gegeben. Und dabei sind die positiven langfristigen Wettbewerbsvorteile bei der Personalgewinnung, die Auswirkungen auf die Motivation der Mitarbeiter und die Stärkung des Images durch besseren Service oder eine schnellere Time-to-Market noch gar nicht berücksichtigt.
Sie haben Kunden auf der ganzen Welt mit sehr komplexen Projekten und höchsten Anforderungen. Woher haben Sie das entsprechende Know-how?
In fast 30 Jahren Wegstrecke, insbesondere in der letzten Dekade, haben wir den Umbruch der Arbeitswelt in tausenden von Unternehmen mitgestaltet. Mit dieser Erfahrung aus erster Hand und dem gesammelten Best Practice Wissen ermöglichen wir unseren Kunden eine hocheffiziente Zielerreichung im Thema Workforce Management.
Das zentrale Wachstumsthema in der Produktion heißt Industrie 4.0. Hierbei geht es darum, Produktions- und Logistikprozesse intensiv zu vernetzen und damit hochflexibel zu machen. Das funktioniert nur bei einer äußerst agilen Personalinfrastruktur.
Andreas F.J. Obereder | CEO und Gründer, ATOSS
Und das alleine reicht?
Außerdem investieren wir jährlich konsequent in die Weiterentwicklung unserer Lösungen. Allein in den letzten 15 Jahren haben wir über 100 Millionen Euro in neueste Technologien,
Leistungsfähigkeit und Skalierbarkeit unserer Software investiert. Das leistet in dieser Dimension niemand sonst im Workforce Management Markt! Wir müssen aber nicht nur die Software beherrschen, sondern auch die Gesetze, Tarife und Arbeitsverträge kennen – und das weltweit in mittlerweile über 40 Ländern von den USA bis Japan. Das notwendige Know-how haben wir in mehreren tausend Projekten rund um den Globus erworben.
Wie ist hier die Strategie von ATOSS, bauen Sie auch international Ihre Präsenz aus?
Wir sind mittendrin. Für künftiges Wachstum im Ausland setzen wir neben unseren etablierten Niederlassungen bewusst auf internationale Partnerschaften. Im letzten Jahr haben wir beispielsweise neue Partner in den Niederlanden und Australien akquiriert.
Der Presse konnte man entnehmen, dass ATOSS eine Partnerschaft mit SAP® geschlossen hat; was hat es damit auf sich?
Im Zuge zunehmender Vernetzung können nur die Unternehmen bestehen, die mit anderen Best-of-Breed Anbietern kooperieren. Nur so wird man künftig gemeinsamen Kunden eine optimale Lösung bieten können. Genau das haben wir getan und erweitern mit unserer Zeitwirtschaft und Personaleinsatzplanung ab sofort das SAP® SuccessFactors Portfolio.
Herr Obereder, wie sehen Sie die Zukunft von ATOSS und dem Thema Workforce Management?
Auch wenn wir inzwischen seit 30 Jahren Key Player im Workforce Management Markt sind, fangen wir gerade erst an, die Leistungsfähigkeit unserer Lösungen auszuschöpfen. Schaut man sich die Marktanteile von ATOSS an, variieren sie stark – je nach Branche von 2 bis 50 Prozent. Viele Unternehmen haben nach wie vor gar keine professionelle Lösung für das Management ihrer Mitarbeiter im Einsatz. Ich sehe daher mit unserem Ansatz, insbesondere in Europa, aber auch weltweit, noch ein enormes Potential für die nächste Dekade. Das stimmt mich zuversichtlich, und es macht mächtig Spaß, unsere Mission rund um die Welt zu verbreiten, sprich Unternehmen zu helfen, sich optimal für die Arbeitswelt von morgen zu positionieren.
Vielen Dank für das Gespräch. Ich wünsche Ihnen ein erfolgreiches Jahr 2017!