Andreas, du stellst die Frage „Europa, game over?“ in den Raum. Was steckt hinter dieser düsteren, bedrohlichen Frage, die fast schon eine Art Untergangsstimmung heraufbeschwört?
Das ist leider die Realität, mit der wir uns heute beschäftigen müssen. Ich sehe Europas Wettbewerbsfähigkeit ernsthaft in Gefahr. Wenn wir nicht gegensteuern, werden wir als Kontinent, als Gesellschaft abgehängt.
Was ist der Grund dafür?
Wir befinden uns mitten in einer Wirtschaftskrise. Ohne politisches Konzept und ohne eine gemeinsame, länderübergreifende Lösung. Parallel kämpfen Unternehmen mit äußerst komplexer Regulierung in zahlreichen Bereichen und vielen weiteren Themen. Was mich aber vor allem umtreibt und nachhaltig beschäftigt, ist die Herausforderung der Produktivitätssteigerung.
Warum ist die Produktivitätssteigerung eine solche Herausforderung?
Die Fakten sprechen eine deutliche Sprache. Die Jahresarbeitszeit in China beträgt weit über 2.000 Stunden, in den USA rund 1.800 Stunden, während es in Europa circa 1.700 und in Deutschland nur etwas mehr als 1.300 Stunden sind. Im Vergleich aller OECD-Staaten sind wir Letzter! Gleichzeitig prognostiziert die EU-Kommission für den europäischen Raum ein Wachstum von 0,8 Prozent, für Deutschland gar nur 0,2 Prozent für 2024. Für die USA werden hier Zahlen von 1,5 Prozent und für China 4,2 Prozent genannt. Laut der jüngsten Prognose von Statista wird der Anteil Europas am weltweiten Bruttoinlandsprodukt bis 2028 auf 13 Prozent sinken, zum Anfang des Jahrtausends lagen wir noch bei über 20 Prozent.
Das klingt in der Tat nicht gut …
Ganz und gar nicht. Zudem sehen sich die Unternehmen vor der Herausforderung, das Mitarbeitende in Europa gestiegene Anforderungen wie flexibleres, teilweise stundenreduziertes Arbeiten haben – Stichwort New Work. Erst im vergangenen Jahr konnte man lesen, dass die Wunscharbeitszeit z. B. der Deutschen bei 32,8 Stunden liegt. Ich sage nicht, dass New-Work-Konzepte schlecht sind. Im Gegenteil, durch gesteigerte Flexibilität kann für eine größere Bevölkerungsgruppe der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert werden. Wir müssen aber auch der Realität ins Auge schauen. Hier entsteht ein enormes Spannungsfeld. Die einzige Chance, die wir haben, ist Produktivitätssteigerung. Wir müssen endlich aufwachen und gemeinsam das Ruder herumreißen.
Die einzige Chance, die wir haben, ist Produktivitätssteigerung. Wir müssen endlich aufwachen und gemeinsam das Ruder herumreißen.
Andreas F.J. Obereder | CEO und Gründer, ATOSS
Das Thema scheint dich sehr zu beschäftigen …
Natürlich tut es das. Es geht um unsere Zukunft und die unserer Kinder. Und es sorgt nicht nur mich, sondern st immer wieder Thema in Gesprächen, die ich mit vielen unserer Kunden in ganz Europa führe. Nichtsdestotrotz wäre ich nicht Unternehmer geworden, wenn mich große Herausforderungen nicht reizen und auch motivieren würden. Ob es wirklich „Europa, game over?“ heißt oder ob Europa gestärkt aus der Krise hervorgeht, haben wir noch alle gemeinsam in der Hand. Und was mich stolz macht, ist zu sehen, dass wir bei ATOSS über die Jahrzehnte Kompetenz und Exzellenz in einem Thema aufgebaut haben, das zu dieser Lösung einen wichtigen Beitrag leisten kann.
Kannst du näher erläutern, was Workforce Management mit der Zukunft von Europa zu tun hat?
Oh, mehr als man vielleicht vermutet. Erstens ist Workforce Management der Wegbereiter für deutlich flexiblere Arbeitszeitmodelle, die es ermöglichen, neue Bevölkerungsgruppen gut in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Und zweitens können wir zwar die Reduzierung der Arbeitszeit nicht aufhalten, aber wir können helfen, die „Staff Productivity“ deutlich zu steigern. Und das muss dringend passieren, um mit weniger Input an Stunden im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig zu bleiben. Unternehmen, die das nicht in den Griff bekommen, werden von der Bildfläche verschwinden. Entweder weil sie insolvent gehen oder von internationalen Wettbewerbern aufgekauft werden. Zweifellos hat die Flexibilisierung der Arbeitszeit Deutschland in der Vergangenheit über lange Zeit zum Produktivitäts-Weltmeister gemacht. Aber heute reichen historische Tools und Errungenschaften nicht mehr aus. Wir brauchen wesentlich intelligentere Tools, um die Produktivität noch weiter zu stützen.
Also ist konsequente Digitalisierung die einzige Chance, um in diesem Spannungsfeld erfolgreich zu sein?
Ja, das ist so! Ein gutes Beispiel dafür ist unser Kunde HORNBACH, ein echter Digitalisierungs-Champion. Während 50 Prozent der deutschen Unternehmen den Fachkräftemangel als Wachstums- und Profitabilitätshemmnis sehen, steht HORNBACH auf der Gewinnerseite. Mit dem Modell „Arbeitszeit nach Maß“ hat es das Unternehmen mit rund 25.000 Mitarbeitenden geschafft, Angestellten und Bewerbenden enorme Flexibilität u bieten. Ein besseres Momentum für Employer Branding kann es nicht geben. Es schafft ein Alleinstellungsmerkmal, das nicht nur innerhalb der Branche und in Fachmedien für Aufmerksamkeit sorgte.
Welche Marktsegmente außer dem Einzelhandel profitieren noch vom Workforce Management?
Im Prinzip alle, aber hier noch ein Beispiel unseres Kunden BERLIN-CHEMIE, welcher ähnliche Wege geht und seinen Mitarbeitenden enorme Freiheit bei der Wahl individueller, an die Lebensphasen angepasster Arbeitszeitmodelle bietet. Das wirkt sich nachweislich und nachhaltig auf die Mitarbeiterzufriedenheit und auch auf die Krankheitsquote aus. Beide Beispiele wären ohne ein intelligentes System nicht umsetzbar.
Gerade mit Blick auf den Fachkräftemangel sind das Vorzeigeprojekte. Ist das immer noch ein großes Thema?
Allerdings. Ich bin aber immer wieder erstaunt, welche innovativen Ansätze unsere Kunden entwickeln. Die Universitätskliniken in Mainz und Frankfurt sind gute Beispiele. Wir haben dort gemeinsam mit den Kunden Lösungen geschaffen, um Belastungen für das Pflegepersonal zu antizipieren und bei der Planung proaktiv entgegensteuern zu können. Das kommt einerseits der Zufriedenheit der Mitarbeitenden zugute. Andererseits – und das ist gerade im Gesundheitswesen von entscheidender Bedeutung – steigt dadurch auch die Qualität der Versorgung der Patientinnen und Patienten.
Workforce Management sorgt am Ende für businessrelevante Erfolgsfaktoren?
Ja, und es hilft dabei, Geschäftsmodelle zu optimieren. Ein weiteres gutes Beispiel hierfür ist unser Kunde ATU. Dort hat man Gestaltungshebel gesucht, um das Personal und die benötigten Bedarfe noch besser in Einklang zu bringen. Ein Hebel waren die Öffnungszeiten, denn nicht nur das Personal ist eine steuerbare Größe, sondern auch der Bedarf - wenn man beides gestaltet, erhält man optimale Ergebnisse. ATU erkannte, dass an den Rändern der Tage die Öffnungszeiten eingeschränkt werden konnten, um eine noch bedarfsgerechtere Planung zu ermöglichen. All das bei gleicher Servicequalität und ohne Nachteile für Kundinnen und Kunden sowie Mitarbeitende. Das ist für mich ein tolles Beispiel für Produktivitätssteigerung.
Du hast jetzt viele Beispiele großer Unternehmen genannt. Können auch andere Unternehmensgrößen profitieren?
Klar, das Thema Workforce Management hat für Unternehmen aller Größen und Branchen Relevanz, und deshalb bieten wir auch Lösungen für Unternehmen mit Belegschaften von zwei bis über 200.000 Mitarbeitenden an. Und insbesondere bei den Kleinbetrieben haben wir einen enormen Schub beobachtet. Über 3000 Betriebe haben sich 2023 für unsere Lösung Crewmeister entschieden. Zurückzuführen ist dies auch auf EuGH- resp. BAG-Urteil zur Dokumentationspflicht der Arbeitszeit. Aber auch im Mittelstand sehen wir viele Firmen, wie Mammut, Engelbert Strauss oder auch Giorgio Armani, die von unseren Lösungen profitieren.
Welche Rolle spielt bei all den Entwicklungen künstliche Intelligenz (KI) bzw. wie ist dein Blick auf das Thema?
Blicken wir ein Jahr zurück, da war die Welt in heller Aufregung, weil gerade ChatGPT der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Alle Welt probierte es aus und war beeindruckt. Jetzt, mehr als ein Jahr später, ist das Thema nicht mehr wegzudenken. Wir leben in einer noch dynamischeren Welt. Alle Unternehmen, die langfristig planen, machen sich bereits heute ernsthaft Gedanken darüber, wie sie die Power von KI in ihre Wertschöpfungsprozesse integrieren können. Und das ist unbedingt nötig!
Das schürt aber auch die Angst, dass KI die Menschen in diesem Prozess ersetzt …
Ich denke, es ist im letzten Jahr klar geworden, dass es bis zu gravierenden Sprüngen noch eine Weile dauern wird. Wirklich revolutionäre und allumfassende Veränderungen unserer Welt stehen uns erst bevor, wenn es gelingt, KI und Quantencomputing miteinander zu verbinden. Beispiele wie die von PsiQuantum, ein Unternehmen aus dem kalifornischen Palo Alto, zeigen bereits, was möglich ist. Dort gelang es, die Rechenleistung um den Faktor 50 zu steigern. Aktuell verdoppelt sich die Rechenleistung alle 18 Monate. Die Übertragung von Daten mit Lichtgeschwindigkeit in Verbindung mit künstlicher Intelligenz wird sich in fünf bis zehn Jahren Realität sein. Bis dahin wird sich unabhängig davon noch einiges verändern. Intelligent genutzt wird KI vielen Menschen zu enormen Produktivitätssprüngen verhelfen und ihnen damit einen Wettbewerbsvorteil im Vergleich zu Wettbewerbern ohne KI verschaffen.
Also beschäftigt sich auch ATOSS mit künstlicher Intelligenz?
Natürlich, wir haben dedizierte Teams, welche sich ausschließlich mit dem Thema beschäftigen. Dabei hilft es uns enorm, dass wir unsere langjährige Transformation auf Cloud Native bereits Ende 2023 erfolgreich abgeschlossenhaben. Damit operieren wir auf der modernsten Plattform, was zu beschleunigten und mehrwertstiftenden Innovationenführen wird.
Dennoch bietet ATOSS weiterhin On-Premises-Lösungen an …
Das müssen wir. Es gibt Länder – Deutschlandist leider ganz vorne mit abei – die nach wie vor beharrlich an historischer Technologie festhalten. Das ist ein echter Wettbewerbsnachteil im internationalen Vergleich. Allein in unserem Kundenstamm wurden im letzten Jahr über 80 teilweise namhafte Unternehmen gehackt. Zwar nicht die ATOSS Systeme, aber es zeigt, wie ernst wir das Thema Cyberwar nehmen müssen. Die Folgen sind dramatisch: Maschinen stehen still, Rechnungen können nicht beglichen, Löhne nicht bezahlt werden, weil häufig kein Zugriff mehr auf Daten des Unternehmens möglich ist. Und laut einer Umfrage von PwC identifizieren deutsche CEOs Cyberrisiken mit Abstand als die zentralste Bedrohung in den nächsten zwölf Monaten. Dann muss aber auch dringend in das Thema investiert werden, und zwar in moderne Cloud-Lösungen.
Wir brauchen mehr denn je Mut zur Veränderung. Wer sich jetzt nicht wandelt, der scheitert. Jetzt kommt es darauf an, dass Unternehmenslenker vorangehen und zum Wohle ihrer Unternehmen in zukunftsfähige Technologien investieren.
Andreas F.J. Obereder | CEO und Gründer, ATOSS
Lass uns auf die Zahlen zu sprechen kommen. 2023 war das 18. Rekordjahr in Folge, darauf kannst du doch wirklich stolz sein.
Unsere fast 800 Mitarbeitenden können stolz sein. Das sind absolute Spezialisten auf ihren Gebieten, die jeden Tag auf der ganzen Welt einen exzellenten Job machen, um den Erfolg und die Zukunft unserer Kunden zu garantieren. Darüber hinaus ist die Nachfrage nach unserem Thema ungebrochen. Denn unsere Kunden vertrauen auf die Wertschöpfung, die wir weltweit liefern und leisten können. Ich denke, das hat sich herumgesprochen. Und das machen nicht allein, sondern mit einem immer weiter wachsenden Partnernetzwerk mit Firmen wie SAP, Deloitte, Accenture, Microsoft, Workday, Oracle und vielen mehr.
Du sprichst das Thema weltweite Wertschöpfung an. Ist Workforce Management denn etwas, das auch auf globaler Ebene nachgefragt wird?
Wir sehen in jüngster Zeit vermehrt Nachfragen nach globalen Lösungen für ein gesetzeskonformes Workforce Management. Ein gutes Beispiel ist unser Kunde Barry Callebaut, einer der größten Schokoladenproduzenten weltweit. Das Unternehmen hat in nur 24 Monaten in 19 Ländern weltweit, von Mexiko über die Elfenbeinküste bis auf die Philippinen, die Implementierung erfolgreich umgesetzt. Unternehmen wie Heineken oder C&A sind bereits auf dem besten Weg dahin.
Wir haben über Krisen, Probleme und Herausforderungen gesprochen. Was ist deiner Meinung nach nötig, um all dies zu bewältigen?
Wir brauchen mehr denn je Mut zur Veränderung. Wer sich jetzt nicht wandelt, der scheitert. Jetzt kommt es darauf an, dass Unternehmenslenker vorangehen und zum Wohle ihrer Unternehmen in zukunftsfähige Technologien investieren. Das ist die Basis für künftigen Erfolg. Das ist der Grundstein dafür, dass Geschäftsmodelle nachhaltig profitieren. Und alle Projekte, die ich gesehen habe, bei denen die Top-Entscheider mit am Tisch saßen, egal ob in Europa, im Mittleren Osten oder sonst wo auf der Welt, haben dazu beigetragen, Organisationen strategisch besser aufzustellen und mehrwertstiftend zu optimieren.
Was ist deiner Meinung nach die größte Herausforderung und das wichtigste Asset für den zukünftigen Erfolg von ATOSS?
Uns geht es nicht anders als unseren Kunden – die größte Herausforderung ist mit Sicherheit, die Menschen und Prozesse bei ATOSS in eine neue Dimension, von Produktivität auf Basis einer vollständig digitalisierten Welt zu führen. Zuversichtlich stimmt mich aber, dass ATOSS auf Mitarbeitende zählen kann, die nicht nur Software-Lösungen entwickeln und vertreiben. Sie sehen in ihrer Tätigkeit einen Purpose, einen wirklichen Sinn und Zweck und verfolgen diesen mit Leidenschaft. Und genau dieses starke Team macht den Erfolg von ATOSS aus.