Herr Obereder, die Banken- und Finanzkrise liegt mehr als ein halbes Jahrzehnt zurück. Auch im Euroraum scheint die Normalität zurückzukehren. Viele Konzerne melden Rekordgewinne. Rückt das Thema Workforce Management damit in den Hintergrund?
Keinesfalls. Die Liquiditätsschwemme der Notenbanken treibt Unternehmen auf der Suche nach lohnenden Investments weltweit in einen gnadenlosen Wettbewerb. Zudem segeln die meisten Unternehmen hart am Wind und haben nur wenig Ballast. Durch die globale Vernetzung der Wirtschaft schwankt die Konjunktur immer schneller und heftiger. Und sie lässt sich gleichzeitig immer schwerer prognostizieren. Topmanager wie der VW-Vorstand Hubert Waltl sind sich einig, dass Unternehmen diesen Entwicklungen mit einer Steigerung der Flexibilität begegnen müssen. Dieser Meinung kann ich mich nur anschließen. Langfristig werden nur Unternehmen bestehen, deren Produktivität und Effizienz sich auf absolutem Spitzenniveau befinden. Gleichzeitig müssen sie in der Lage sein, komplexe Prozesse und Strukturen flexibel und effektiv zu managen.
Warum ist gerade Workforce Management so entscheidend, wenn man dieses Spitzenniveau erreichen und halten will?
Wenn wir über flexible Ressourcen und optimierte Abläufe sprechen, geht es in den personalintensiven Branchen der Hochlohnländer vor allem um die Personalprozesse. Workforce Management stellt der Unternehmensleitung und den operativen Managern ein Steuerungs-Cockpit zur Verfügung, um die wichtigste Ressource im Unternehmen hochflexibel einzusetzen. Nur so gelingt die Abstimmung zwischen schnell wechselnden Marktanforderungen – zum Beispiel Auftragslage in der Produktion oder Kundenfrequenzen im Handel –, den Wünschen der Mitarbeiter und den gesetzlichen und tariflichen Rahmenbestimmungen. Unternehmen wie die Deutsche Lufthansa, Douglas, Hornbach, Ritter Sport oder Tommy Hilfiger haben das erkannt. Die Produktions- und Logistikprozesse haben die meisten Unternehmen inzwischen perfektioniert. Aber bei der bedarfs- und mitarbeitergerechten Personalsteuerung sind viele leider häufig noch mit Bleistift und Papier oder bestenfalls Tabellenkalkulation unterwegs. Da schlummern erhebliche Potenziale, die sich sofort rechnen. Intelligente Potenziale, sozusagen …
Warum ist Workforce Management oft die intelligentere Lösung?
Auch heute noch wird in kritischen Situationen zu oft pauschal der Rotstift angesetzt. Das kann bestehende Leistungsprozesse stören und die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens beeinträchtigen. Dieses Vorgehen ist in den meisten Fällen auch nicht nachhaltig. Eine Untersuchung von Ernst & Young zeigt, dass z.B. im Bankensektor 70 Prozent der Sparmaßnahmen nach spätestens drei Jahren bereits wieder unwirksam sind. Besser ist es, Kernprozesse, die bislang noch nicht so im Fokus standen, zu optimieren und zu flexibilisieren. Genau das kann Workforce Management leisten, und zwar mit nachhaltiger Wirkung.
Die Produktions- und Logistikprozesse haben die meisten Unternehmen inzwischen perfektioniert. Aber bei der bedarfs- und mitarbeitergerechten Personalsteuerung sind viele leider häufig noch mit Bleistift und Papier oder bestenfalls Tabellenkalkulation unterwegs.
Andreas F.J. Obereder | CEO und Gründer, ATOSS
Wo liegen die Potenziale?
In fast allen Branchen! Nehmen Sie zum Beispiel den Einzelhandel. Laut einer Studie von Porsche Consulting und Forsa aus dem Jahr 2013 fühlen sich 66 Prozent der Kunden im Einzelhandel schlecht betreut, 81 Prozent der Kunden kaufen nicht, wenn kein angemessener Sevice geboten wird. Bis heute sind nur rund ein Fünftel der Unternehmen im oberen Marktsegment in der Lage, wirklich bedarfsgerecht zu planen und zu arbeiten. Diese agilen Unternehmen können ihre Personalressourcen mit dem kurzfristigen Bedarf synchronisieren. Damit erhöhen sie die Konversionsraten und optimieren gleichzeitig die Personalkosten. Es gibt also positive Effekte – bei Kosten und Umsatz. Die Mitarbeitermotivation wird durch einen bedarfsgerechten, transparenten und fairen Einsatz, verbunden mit attraktiven Arbeitszeitmodellen, ebenfalls gesteigert. Oder lassen Sie uns einen Blick auf den Bankensektor werfen. Dieser steht weltweit vor einem epochalen Umbruch. Viele Banken besinnen sich wieder auf ihre Wurzeln im Filialgeschäft. Bei unverändert hohem Kostendruck müssen Banken den steigenden Anforderungen der Kunden gerecht werden. Längere Öffnungszeiten oder höhere Service Levels lassen sich eigentlich nur durch einen intelligenteren und flexibleren Einsatz der bestehenden Workforce erreichen.
Können unsere Unternehmen nicht bereits Workforce Management?
Es ist richtig, dass deutsche Unternehmen die ersten Schritte in Richtung Flexibilisierung der Arbeitszeit bereits in den 70er-Jahren eingeleitet und davon enorm profitiert haben. Um ihren Vorsprung zu halten oder gar auszubauen, müssen sie jetzt die Flexibilisierung flexibilisieren. Jahresarbeitszeit, Gleitzeit und Zeitkonten reichen nicht mehr aus. Heute gilt es, den Personaleinsatz konsequent am Bedarf des Unternehmens auszurichten.
Viele Unternehmen sind also gut, aber nicht gut genug?
So könnte man es sagen. Die strategische Bedeutung des Themas Workforce Management wird in der Praxis gerne unterschätzt. Uns wurden zum Beispiel die besten Filialen eines Unternehmens im Einzelhandel präsentiert. Das Management war der festen Überzeugung, dass in diesen Filialen alles optimal läuft. Die Analyse zeigte: weit gefehlt! Die Personaleinsatzplanung war an vier von sechs Tagen ungenügend. Über- oder Unterdeckungen von 30 Prozent und mehr waren keine Seltenheit. Das wirkte sich direkt auf Service Level, Umsatz und Mitarbeiterproduktivität aus. Und das geschilderte Szenario ist bei weitem kein Einzelfall. Bei Projekten in Produktion, Logistik und Gesundheitswesen haben wir ähnliche Erfahrungen gemacht. In der Logistik beispielsweise wird durchschnittlich fast 20 Prozent der Arbeitszeit unproduktiv verbracht.
Haben Sie konkrete Beispiele, wie Workforce Management sich rechnet?
Durch bessere Bedarfsprognosen und flexibleren Einsatz der Workforce sind im Einzelhandel EBITSteigerungen von 5 Prozent und mehr möglich. Oder nehmen Sie das Gesundheitswesen. Mehr als die Hälfte aller Kliniken in Deutschland arbeiten defizitär. Schon bei 1.000 Mitarbeitern lassen sich bis zu 30.000 Arbeitsstunden pro Jahr, die unproduktiv für administrative Zwecke anfallen, durch ein optimiertes Workforce Management vermeiden. Erst durch Ad-hoc-Steuerungsmechanismen kann das Geschäftsmodell an vielen Stellen transparent und kalkulierbar auf neue Strategien ausgerichtet werden. Bei einem aktuellen Klinikprojekt konnte unser Kunde bereits nach der ersten Einführungsstufe quantifizierbare Benefits im hohen sechsstelligen Bereich verbuchen. Bei voller Ausbaustufe erwarten wir knapp das Fünffache dieses Ergebnisses.
Muss man mit hohen Budgets rechnen?
Keinesfalls. Für ein Einzelhandelsunternehmen mit 2.000 Mitarbeitern zum Beispiel kann Workforce Management mit einem Budget im niedrigen sechsstelligen Bereich eingeführt werden. Innerhalb von sechs bis zwölf Monaten haben sich die meisten Projekte amortisiert. Sie werfen also schon im ersten Jahr einen positiven Return on Investment ab.
Wie hilft ATOSS den Unternehmen ganz konkret dabei, diese Herausforderungen zu meistern?
Das Thema Workforce Management lässt sich nicht auf die Tool- und Software-Ebene reduzieren. Zu Beginn eines Projekts analysieren unsere Berater ganz gezielt die Prozesse unserer Kunden. Aufgrund unseres langjährigen, branchenübergreifenden Knowhows erkennen wir sehr schnell Schwachstellen und Optimierungspotenziale bei bestehenden Prozessen.
Was genau können Ihre Lösungen leisten?
Unsere hochspezialisierten Algorithmen ermöglichen es, den zukünftigen Personalbedarf punktgenau zu prognostizieren und auch für mehrere tausend Mitarbeiter unter Berücksichtigung aller relevanten Kriterien auf Knopfdruck einen bedarfsoptimierten Plan vorzuschlagen. Allein das ist eine echte Mammutaufgabe, denn schon bei 20 Mitarbeitern mit vier unterschiedlichen Startzeiten gibt es Milliarden von möglichen Tagesplänen. Im Einzelhandel können wir die Besucherfrequenz mit einer Genauigkeit von +/- 2 Prozent prognostizieren. Davon sind die meisten Unternehmen weit entfernt. Das wahre Potenzial von Workforce Management entfaltet sich jedoch in der Kombination von hochintelligenten SoftwareLösungen und permanenten Anpassungen in der Ablauf- und Aufbauorganisation des Unternehmens. Durch die bereichsübergreifende Vereinheitlichung von Prozessen steigen Effizienz, Planungsqualität und Benchmarkingmöglichkeiten im gesamten Unternehmen.
Was macht ATOSS so erfolgreich?
Wir unterstützen unsere Kunden mit Best -PracticeKnow-how, das wir als Spezialist für Workforce Management in mehreren tausend Projekten in den unterschiedlichsten Branchen aufgebaut haben. Und das rund um den Globus – von den USA bis nach Japan. Außerdem profitieren unsere Kunden von der Leistungsfähigkeit, Stabilität und Skalierbarkeit unserer Software, in die wir mittlerweile über 80 Millionen Euro investiert haben.
Wir unterstützen unsere Kunden mit Best -PracticeKnow-how, das wir als Spezialist für Workforce Management in mehreren tausend Projekten in den unterschiedlichsten Branchen aufgebaut haben. Und das rund um den Globus – von den USA bis nach Japan.
Andreas F.J. Obereder | CEO und Gründer, ATOSS
Bisher haben wir hauptsächlich von Unternehmen gesprochen. Bietet Workforce Management auch Vorteile für Arbeitnehmer?
Auf jeden Fall! Was wollen Mitarbeiter? Unter anderem angemessene Vergütung, eine sinnvolle Arbeit, Gestaltungsspielräume und Fairness. Workforce Management macht es möglich, dass die Mitarbeiter den Planungsprozess aktiv mitgestalten, dass fair und gerecht geplant wird und dass ganz generell der Zeitpunkt der Leistungserbringung flexibler gehandhabt wird. Alle diese Faktoren erhöhen die Mitarbeitermotivation nachweislich und tragen letztlich auch zu einem positiven Employer Branding bei. Mobilität ist ein weiterer Aspekt, durch den die Mitarbeiter dem Ziel einer ausgewogenen Balance zwischen Beruf und Freizeit näherkommen. Für all diese Bereiche bietet Workforce Management geeignete Lösungsansätze.
Ist das auch ein strategischer Erfolgsfaktor?
Natürlich. Die wertvolle Ressource Personal wird sich mittel- und langfristig drastisch verknappen und verteuern. Qualifizierte Mitarbeiter langfristig zu binden und gleichzeitig hochflexibel und hocheffizient einzusetzen, wird eine der Kernherausforderungen der nächsten Jahre.
Was ist Ihre Vision für den Workforce Management Markt?
Markt und Bedarf wachsen rasant. Die Analysten von Gartner bestätigen dem Markt ein ausgezeichnetes Potenzial. Das liegt auf der Hand, denn das globale Outsourcing stößt langsam an seine Grenzen. Jetzt geht es darum, die Prozesse in Europa und den Industrieländern auf die nächste Ebene zu heben. Wer seine Personalressourcen auf Dauer nicht punktgenau, bedarfs- und mitarbeitergerecht steuern kann, wird im Wettbewerb nicht bestehen. Workforce Management wird zu einem »Must-have« für alle Unternehmen.