„Zeiterfassungspflicht? Wir brauchen noch mehr Flexibilisierung!”

Aktuell liegt ein Referentenentwurf vor, der das aktuelle Arbeitszeitgesetz reformieren soll. Im Fokus steht die Pflicht zur Zeiterfassung. Wir haben über den aktuellen Stand mit Claudia Knuth, Partnerin und Fachanwälten für Arbeitsrecht bei der Kanzlei LUTZ | ABEL sowie Referentin an der Hochschule Fresenius, gesprochen. 

Als Expertin für New Work begleitet sie Unternehmen bei der digitalen Transformation. Neben zahlreichen Veröffentlichungen ist sie eine gefragte Referentin zu Themen von Arbeit 4.0 und leitet zudem regelmäßig Inhouse-Schulungen zu aktuellen Themen, wie dem agilen Arbeiten. Besondere Branchenkenntnisse hat Claudia Knuth im Technologiesektor.

Frau Knuth, wir möchten mit Ihnen über das Thema Zeiterfassungspflicht sprechen. Haben Sie Ihre Arbeitszeit heute bereits erfasst?

Claudia Knuth: Tatsächlich habe ich das gemacht. Wir müssen für unsere Mandanten transparent sein. Darum schreiben wir auf, wann wir anfangen und aufhören. Dadurch haben wir eine Arbeitszeiterfassung.

Die Zeiterfassungspflicht ist seit Jahren umstrittenes Thema. Wie froh sind Sie, wenn das neue Arbeitszeitgesetz unter Dach und Fach ist?

Knuth: Das kommt darauf an, wie es ausgestaltet wird. Momentan gibt es einen Entwurf und aus meiner Sicht besteht noch Verbesserungsbedarf. Ich würde mich freuen, wenn wir für die Arbeitgeber in der Gestaltung flexibler werden könnten.

Warum hat sich die Politik seit 2019 so viel Zeit gelassen? Ist das ein Thema, an dem sich die Politik sowieso nur die Finger verbrennen kann?

Knuth: Es ist sehr heißes Thema, das Arbeitszeitgesetz aufzumachen oder anzufassen. Jetzt hat sich die Politik dann doch entschlossen zu sagen: Wir wollen das Arbeitsgesetz ändern.

Das Resultat ist der Referentenentwurf. Hier heißt es: Der Arbeitgeber ist verpflichtet, Beginn und Dauer der täglichen Arbeitszeit elektronisch aufzuzeichnen, und zwar bis zum Ende des Arbeitstages. Sprechen wir hier von einer erzwungenen Digitalisierung oder ist das der richtige Schritt?

Knuth: Ich glaube, auf dem Weg der Digitalisierung und auch auf dem Weg hin zur Manipulationssicherheit ist es der richtige Weg.

Ich glaube, auf dem Weg der Digitalisierung und auch auf dem Weg hin zur Manipulationssicherheit ist es der richtige Weg.


Ein weiterer spannender Punkt: der Arbeitgeber ist für die ordnungsgemäße Aufzeichnung verantwortlich. Was bedeutet das?

Knuth: Tatsächlich ist es so, dass der Arbeitgeber dafür verantwortlich ist, wie der Arbeitnehmer die Arbeitszeiten aufzeichnet, und insbesondere, dass er nicht gegen das Arbeitszeitgesetz verstößt. Das ist aus Arbeitgebersicht natürlich nicht ganz leicht, weshalb diese Verantwortung delegiert werden darf. Aber er muss im Zweifel stichprobenartig kontrollieren, ob das auch wirklich gemacht wird. Der Arbeitgeber darf sich nicht aus der Verantwortung rausziehen.

Im Entwurf steht auch, dass der Arbeitgeber geeignete Maßnahmen sicherstellen muss, damit ihm Verstöße gegen gesetzliche Bestimmungen bekanntgemacht werden können.

Knuth: Richtig. Das können Benachrichtigungen sein. Beispielsweise an den Mitarbeitenden, der einen Alarm erhält, wenn er an einem Tag über zehn Stunden arbeitet - oder den Vorgesetzten, der eine Nachricht erhält, wenn Mitarbeitende diese Grenze nicht einhalten oder Pausenregelungen missachten. Dadurch kann viel besser sichergestellt werden, dass die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes eingehalten werden.

Dafür ist aber auch ein entsprechendes System notwendig...

Knuth: Das stimmt. Es ist aus meiner Sicht auch in Ordnung, dass kleine Unternehmen, mit bis zu zehn Mitarbeitern, noch Stift und Papier nehmen können. Ansonsten benötigt man aber eine Software, die dafür sorgt, dass diese Meldungen gemacht werden und der Arbeitgeber weiß, was passiert. Dann kann er auch zum Mitarbeiter sagen: Ich vertraue dir, dass du das einhältst. Ich kann sichergehen: Wenn du gegen das Arbeitszeitgesetz verstößt, dann erhalte ich eine Meldung, ansonsten kannst du machen, was du willst.

Es gibt eine Vielzahl an Ausnahmeregelungen, beispielsweise, wenn ein Tarifvertrag mit im Spiel ist. Das betrifft rund die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland. Warum diese Ausnahmen?

Knuth: Nicht jedes Arbeitsverhältnis ist wie das andere. Ausnahmeregelungen versuchen durchaus, dieses bunte Spektrum abzudecken. Meines Erachtens sind es noch gar nicht genug Ausnahmen, da diese momentan unter dem Vorbehalt eines Tarifvertrags stehen. Warum kann ich nicht auch im Rahmen einer Betriebsvereinbarung ohne einen Tarifvertrag eine Ausnahme machen? Was ist mit Unternehmen, die gar keinen Tarifvertrag oder einen Betriebsrat haben? 

Wie würden diese Ausnahmen aussehen?

Knuth: Das Wichtigste wäre, dass die Zeiterfassung nicht am selben Tag stattfinden muss. Es wird viel diskutiert, ob sie beispielsweise bis zum Ende der Woche stattfinden kann. Eine weitere Ausnahme sieht vor, dass wir uns das Arbeitsverhältnis ansehen und genau prüfen. Ist hier eine Arbeitszeiterfassung wirklich gerechtfertigt oder könnte man hier eine Ausnahme machen? Darüber hinaus ist sehr wichtig, ab welcher Unternehmensgröße eigentlich wie schnell gehandelt werden muss. Aktuell müssten größere Unternehmen schneller handeln als kleine Unternehmen.

Also doch nicht alles so digital. Was empfehlen Sie Unternehmen jetzt ganz konkret?

Knuth: Ich kann Unternehmen nur empfehlen, sich digitale Lösungen zu suchen. Die Zeiten, in denen wir mit Papier arbeiten, sind vorbei. Von daher sind Softwarelösungen interessant. Und damit ist nicht nur die Softwarelösung gemeint, sondern auch die Frage des “Wie”. Was ist mit der Zeit, wenn der Computer hochfährt? Habe ich Produktions-Mitarbeiter, die Rüstzeiten haben? Wo stempeln diese Mitarbeiter? All diese Fragen müssen geklärt werden – daher gilt es, frühzeitig zu handeln

Claudia Knuth

Ich kann Unternehmen nur empfehlen, sich digitale Lösungen zu suchen.

Claudia Knuth
Partnerin und Fachanwälten für Arbeitsrecht, Kanzlei LUTZ | ABEL

Also müssen die Prozesse rund um das Thema Zeiterfassung ganzheitlich betrachtet werden? 

Knuth: Ja, das merken wir bei vielen Unternehmen, die sich aufgrund der Zeiterfassung jetzt viele Fragen stellen müssen, die vorher noch nicht auf den Tisch gekommen sind. Umkleidezeiten, Wegezeiten zwischen Betriebsdauer und Beginn der Arbeit. Es gibt auch den Fall, dass Unternehmen sagen: Wir führen jetzt Kernarbeitszeiten ein – beispielsweise von 6 Uhr morgens bis 8 Uhr abends. Vor diesem Hintergrund merken wir, dass die Arbeitszeiterfassung Anlass ist, um Arbeitszeitrichtlinien und Betriebsvereinbarungen zu erstellen.

Also haben Unternehmen auch die Möglichkeiten Flexibilisierung und attraktive Arbeitszeiten im Zuge dessen zu etablieren und umsetzen? 

Knuth: Arbeitgeber sollten den Mitarbeitern so viel Flexibilisierung wie möglich anbieten. Das wollen Mitarbeitende heute, das ist es, worauf es ankommt. Nehmen Sie zum Beispiel einen Mitarbeitenden, der einen längeren Arbeitsweg hat. Dieser möchte vielleicht früher anfangen, weil er dann am Nachmittag früher zurück zur Familie kann. Oder der Mitarbeiter, der seinen Urlaub um eine Woche verlängern kann, weil er aus dem Urlaub heraus trotzdem tätig ist und abends mit seiner Familie noch auf der Terrasse in der Sonne sitzt. Das ist gelebte Flexibilität, die heute nötig ist.

Eine Frage zum Abschluss: Wenn Sie im Gesetzestext einen Absatz umschreiben oder hinzufügen könnten. Was wäre das?

Knuth: Ich würde den Teil zur Vertrauensarbeitszeit bei bestimmten Berufsgruppen und Branchen erweitern. Das heißt, dass wir noch mehr Flexibilisierung bei einigen Personenkreisen in einigen Branchen aufnehmen sollten, damit wir das Bedürfnis, was viele Arbeitgeber, aber auch viele Arbeitnehmer haben, gerecht werden können.